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Keine Katastrophen

Veränderungen im Leben sind selten spektakulär. Die Summe vieler kleiner Schritte ist wesentlich öfter die Erklärung für unseren aktuellen Zustand. Das gilt auch für die Gesundheit. Viele Menschen haben das Glück, niemals einen schweren Unfall, einen Herzinfarkt oder eine Krebserkrankung zu erleiden. Die Frage ist: 

Warum nimmt die Leistungsfähigkeit auch dieser Menschen oft soweit ab, dass sie sich nicht mehr um sich selbst kümmern können?

‚Ich weiß nicht, wie das gekommen ist…‘

Auf meinem Patientenfragebogen und auch im Gespräch stelle ich immer die Frage: ‚Was denken Sie, woher Ihre Beschwerden kommen?’ In 80% der Fälle ist die Antwort eine Variante von: ‚Weiß ich nicht! War einfach irgendwann da…‘

Die einzige Erklärung ist daher, dass irgendetwas, was wir unbewusst im Alltag tun oder nicht tun, die Ursache sein muss. 

‚Das muss ich jetzt aushalten.’

Seit meinem Studium fasziniert mich die Frage, wie die Dinge beginne. Embryologie fand ich daher absolut faszinierend. Der erste Schritt in der Entstehung eines komplexen Vorgangs kann zwar oft nicht zurückgedreht werden. Aber es kann sehr helfen die aktuelle Problematik zu verstehen und das zukünftige Verhalten zu optimieren. 

Kleine Schritte statt großer Sprünge

In meiner Theorie passiert Folgendes:

Du bekommst einen leichten Bewegungsschmerz, wenn Du Deinen Rumpf voll aufrichtest. Der Schmerz verschwindet sofort, wenn Du die Schultern leicht nach vorne entspannst. Ursache gefunden, Schmerz weg. Das Thema verschwindet aus unserer bewussten Wahrnehmung. 

Deine Propriozeption, sprich Dein Spannungs-, Druck- und Positionssinn bleibt natürlich alarmiert.

Diese leichte und oft unmerkliche Schonhaltung lässt bestimmte Muskeln auf der Vorderseite kürzer werden, andere im Schulterblattbereich werden verlängert. Die beteiligten Gelenke des Schultergürtels, der HWS und BWS, verlieren ihre optimale Position und Organisation. Der Kontakt der Gelenkflächen ist nicht zentriert. Dein Nervensystem registriert dies über die Unmengen an Nervenden und Rezeptoren. Deine Muskulatur wird aktiviert, um die Gelenke wieder in die ideale Position zu ziehen. Diese leichte Daueranspannung ist besonders für die Muskeln problematisch, die immer nur kurz und phasenweise aktiv sind. 

Dieser Zustand bleibt über lange Zeit erhalten, weil Du ihn nicht bewusst wahrnimmst. Dies ist nun das ‚neue Normal‘ Deines Körpers. Kein Röntgenbild, kein MRT, kein Labortest findet in dieser Phase irgendein Problem. Du bist gesund. Aber ineffizient. 

So kommt es unweigerlich zu einem erneuten leichten Bewegungsschmerz. Diesmal aber eher wenn Du den Kopf nach links drehst. Brustkorb und Schultern mit zu drehen mindert den Schmerz und auch dieses Thema fällt aus der bewussten Wahrnehmung… 

Ein Beispiel dieses Vorgangs ist die ältere Dame, die 90° nach vorne gebeugt, langsam an ihrem Rollator durch das Viertel spaziert. Sie grüßt freundlich, ist aber offensichtlich stark in ihren Bewegungen eingeschränkt. 

Eins ist sicher: Sie ist nicht am Abend vorher mit kerzengerader Wirbelsäule ins Bett gegangen. Die stark einschränkende Fehlhaltung ist wahrscheinlich das Ergebnis einer Reihe kleinerer und an sich unbedeutender Schmerzen und deren Ausweichmanöver. Dazu die Aussage: ‚In Ihrem Alter sind solche Schmerzen eben normal…‘ plus die fehlenden motivierenden Hilfsangebote für ältere Mitbürger im Gesundheitswesen. Et voilá, eine extrem unangenehme, unumkehrbar und einschränkende Fehlhaltung.

Was tun?

Die entspannte Balance in der Körperwahrnehmung zu treffen ist schwierig. Alles einfach hinzunehmen ist genauso so schädlich, wie sofort in Panik zu verfallen, sobald sich Dein Körper mal meldet.

Hier ist ein Vorschlag für ein funktionales Testprotokoll:

  1. Knöchel, Knie, Hüfte
    1. Tiefe Hocke mit aufrechter Wirbelsäule (Kontrolle mit Besenstiel)
      1. Füße und Knie zusammen, Füße flach auf dem Boden
      2. Füße und Knie auseinander, Füße flach auf dem Boden
      3. Füße und Knie auseinander, Fersen vom Boden oder auf Schräge unterstützt
      4. Wenn 1. nicht klappt, dann in allen möglichen Varianten täglich einige Minuten in der Hocke verbringen.
    2. Aus dem Schneidersitz ohne Hilfe der Arme und Hände aufstehen
  2. Schultern und BWS
    1. Hände hinter dem Rücken zusammenbringen (‚Fleischerhaken‘)
      1. Kopf und HWS entspannt, eine Hand von unten und die andere von oben zusammenbringen.
      2. Besenstiel zur Dehnung benutzen
    2. Mit dem Rücken an der Wand, Hinterkopf, BWS und Po berühren die Wand
      1. Ellenbogen gestreckt, Arme nahe am Kopf, Handflächen zeigen nach vorne, Handgelenke und Ellenbogen sollten die Wand berühren. Alle 3 Kontaktpunkte bleiben in Kontakt mit der Wand.
      2. Arme gestreckt soweit zur Seite bewegen, bis Handgelenk und Ellenbogen flach an der Wand liegen.
  3. Drehbeweglichkeit der Wirbelsäule
    1. Im stehen mit Füßen zusammen den Rumpf drehen. Mit dem Rücken zum Spiegel aufstellen und komplett drehen
      1. Drehung nach rechts bis Du die Vorderseite Deiner linken Schulter im Spiegel siehst.
      2. Drehung nach links bis Du die Vorderseite Deiner rechten Schulter im Spiegel siehst

Wenn Du diese 4 Dinge (wie jeweils unter 1. beschrieben) hinbekommst, kannst Du davon ausgehen, dass sich Deine Gelenke in guter Form befinden. Du kannst ohne Bedenken Wandern, Joggen, Yoga machen und zum Krafttraining gehen. Stellst Du aber Defizite und Abweichungen fest, solltest Du Deinen Chiropractor fragen, was zu tun ist!

Denkanstöße, Tipps und Übungen für den Alltag?